Meinung 35 Stunden? 42 Stunden? Die Arbeitszeit bleibt ein Zankapfel

Wie wird etwa die Kinderbetreuung aufgeteilt? Das ist ein wichtiger Punkt bei der Betrachtung künftiger Arbeitszeitmodelle.
Wie wird etwa die Kinderbetreuung aufgeteilt? Das ist ein wichtiger Punkt bei der Betrachtung künftiger Arbeitszeitmodelle.

Soll kürzer oder länger gearbeitet werden? Der Streit darüber verdeckt, dass viele Beschäftigte, vor allem Frauen, schon heute gerne mehr arbeiten möchten, es aber nicht können.

55 Milliarden Stunden haben Beschäftigte im vergangenen Jahr in Deutschland gearbeitet – so viel wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Zugleich ist die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit auf 36,5 Stunden gesunken – Anfang der 90er-Jahre waren es noch zweieinhalb Stunden mehr.

Die dieser Tage vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vorgelegten Zahlen erscheinen auf den ersten Blick paradox. Der Widerspruch löst sich aber schnell auf. Denn der Rekord an Arbeitsstunden pro Jahr ist auf eine deutlich gestiegene Erwerbsbeteiligung zurückzuführen; das heißt ein größerer Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter arbeitet auch tatsächlich. Vor allem bei Frauen ist dieser Wert deutlich in die Höhe gegangen – laut DIW um 16 Punkte auf 73 Prozent innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte.

Viele Frauen arbeiten nicht freiwillig in Teilzeit

Die Hälfte der Frauen wiederum – und an diesem Punkt gewinnen die puren Zahlen gesellschaftspolitische Bedeutung – arbeitet Teilzeit. Und das nicht immer freiwillig. Viele von ihnen würden gerne länger arbeiten, können das aber nicht, weil sie sich beispielsweise immer noch deutlich mehr als Männer um Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen kümmern. Der auch im internationalen Vergleich hohe Teilzeit-Anteil wirkt sich wiederum tendenziell negativ auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit aller Beschäftigten aus.

Die Zahlen fallen in eine Zeit, in der wieder intensiv und kontrovers über Arbeitszeit diskutiert wird. Während einige Gewerkschaften für kürzere Wochenarbeitszeiten kämpfen wollen, fordern Arbeitgeber und Vertreter von FDP und Union längere Arbeitszeiten, um auf diese Weise dem Arbeitskräftemangel zu begegnen.

Arbeitszeitverkürzung? Das wirkt derzeit unpassend

Tatsächlich wirkt der Ruf nach Arbeitszeitverkürzungen – insbesondere wenn diese undifferenziert über ganze Branchen erfolgen sollen – in einer Situation, wo es quasi überall an Personal mangelt, unpassend. Statt auf der anderen Seite über längere Arbeitszeiten für alle zu diskutieren, wäre es sinnvoll, zunächst die Bedingungen für jene, die jetzt schon länger arbeiten möchten, zu verbessern. Das heißt beispielsweise, mit Blick auf die vielen Frauen in Teilzeit, Ausbau der Kinderbetreuung und, in einer alternden Gesellschaft, mehr (bezahlbare) Pflegeangebote. Auf beiden Feldern sind aber kaum Fortschritte zu sehen – weil das dafür notwendige Geld, vielfach aber auch, weil das dafür notwendige Personal fehlt…

In Frankreich ohne Effekt

Wie dieses Problem zu lösen ist, verrät auch Bundesfinanzminister Christian Lindner nicht, wenn er für eine „Wirtschaftswende“ und für Reformen am Arbeitsmarkt plädiert. Seine Idee, eine begrenzte Anzahl von Überstunden bei Vollzeitbeschäftigten von Steuern zu befreien, hilft jedenfalls nicht, die Rahmenbedingungen für jene zu verbessern, die schon jetzt gerne mehr arbeiten möchten – und das sind eben vor allem Frauen in Teilzeitjobs. Im Übrigen, darauf weist das DIW hin, habe eine ähnliche Maßnahme in Frankreich keinen Effekt auf das gesamte Arbeitszeitvolumen gehabt.

Patentlösungen sind beim Thema Arbeitszeit jedenfalls nicht in Sicht. Aber zumindest ein Teil des Problems ließe sich lösen, wenn es gelänge, Veränderungen in einem Bereich zu erreichen, auf den die Politik keinen unmittelbaren Zugriff hat: Bei der Verteilung der Haushalts-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit zwischen Männern und Frauen.

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